Warum werden noch immer so wenige Frauen Dirigentinnen? Mit welchen Vorurteilen haben sie zu kämpfen, und was sind ihre Perspektiven in einem Beruf, der geprägt wurde durch Männer und Mythen?

Fragen Sie bloß nicht. Falls Sie es doch tun, werden Sie eine Antwort bekommen, die wie eine Eisdusche wirkt. Oksana Lyniv ist ziemlich genervt: Viel zu oft hat man sie schon gefragt, wie sie sich als Frau vor einem Orchester fühlt. Manchmal, sagt sie, kommt sie sich in ihrem Beruf vor „wie ein Zirkusaffe, um den alle staunend herumstehen: Oh, der Affe kann auch tanzen!“ Lieber spricht Lyniv über Musik, über Projekte, Herausforderungen. Sie will nicht reduziert werden auf ihr Geschlecht, vor allem dann nicht, wenn sie, wie schon oft, an einem Haus wieder mal die erste Frau am Pult ist. So wie 2021 bei den Bayreuther Festspielen, wo sie Wagners Fliegenden Holländer dirigierte. Oder wie im Januar diesen Jahres in Bologna – da war sie die erste Dirigentin in einem italienischen Opernhaus, wieder mit Wagner (Die Walküre).

Unglaublich. Und dennoch: „Quoten braucht man nicht“, sagt Oksana Lyniv; nur „gesunde Konkurrenz“ führe dazu, dass dirigierende Frauen dieselben Chancen bekämen, wie sie Männer schon vor 200 Jahren hatten. Und: „Am Ende zählt einzig die künstlerische Qualität“. Wäre das wirklich so, dann müsste man mit Blick auf die deutsche Orchesterlandschaft feststellen: Künstlerische Qualität ist eindeutig männlich. Mittlerweile nimmt der Anteil der Frauen an Dirigentenpulten zwar ebenso zu wie das Problembewusstsein bei und die Förderung durch Intendanten wie Institutionen. Aber die Veränderung braucht sehr viel Zeit: Obwohl die Dirigierklassen an deutschen Musikhochschulen heute zu 37 Prozent mit Frauen besetzt sind, standen 2021 erst bei sieben Prozent aller Konzerte von Profiorchestern Dirigentinnen am Pult.

Männer, sagt Oksana Lyniv, bekämen schon im Studium mehr Unterstützung. „Eine Frau hört selten motivierende, unterstützende Sätze.“ Dirigierende Frauen, so die US-Amerikanerin Marin Alsop, bräuchten ebenso wie Männer vor allem Praxis, also Gelegenheiten, Orchester zu dirigieren – die Chance dazu erhielten sie „in diesem sehr konservativen Business“ aber lange nicht so oft wie ihre männlichen Kollegen.

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