Steve Reich gehört zu jenem sehr kleinen Kreis von Komponisten, die von sich behaupten können, die zeitgenössische Musik in den letzten fünfzig Jahren nachhaltig beeinflusst zu haben. Qobuz bietet Ihnen eine Auswahl von zehn seiner wichtigsten Werke.

Der Vater des Minimalismus, dessen Musik in der ganzen Welt gespielt und von der jüngeren Generation verehrt wird, beeinflusst sogar die Rock- und Elektroszene. Wir trafen Steve Reich vor einigen Jahren zu einem ausführlichen Interview, in dem er seine musikalische Karriere mit Humor und Intelligenz Revue passieren ließ. Seitdem ist viel Zeit vergangen, aber weder das Alter noch die Pandemie konnten die Energie und die Kreativität des Komponisten, der am 3. Oktober 85 Jahre alt wird, schmälern. So ist der Papst der repetitiven Musik während der Gesundheitskrise nicht untätig geblieben und komponierte, zurückgezogen in Los Angeles, Traveler's Prayer. Das Werk wird im kommenden Herbst von der Colin Currie Group und Synergy Vocals bei vier Konzerten in Europa (Amsterdam, London, Hamburg und Paris) aufgeführt werden. Wir feiern den New Yorker Musiker mit einer subjektiven Top-10-Liste seiner ikonischsten Werke in chronologischer Reihenfolge. Alles Gute zum Geburtstag, Herr Reich!

It’s Gonna Rain (1965)

It's Gonna Rain gehört wegen seiner Strenge sicher nicht zu den eingänglichsten, dafür aber zu den unverzichtbaren Werken von Steve Reich, weil es die Grundlagen für seine Arbeit mit dem Phasing legt, einem brillanten Verfahren, das einen enormen Beitrag zur Musikgeschichte geleistet hat. 1964 lebte Reich in San Francisco. Als er eines Tages mit einem Tonbandgerät in der Hand durch den Union Square Park ging, sah er einen schwarzen Prediger, der vor einer Gruppe von Menschen sprach. Die theatralische Haltung des Mannes sowie der Rhythmus und die Melodie seiner Stimme gefielen dem Komponisten und er begann instinktiv, ihn aufzunehmen. "Ich habe Phasing durch Zufall entdeckt. Ich hatte zwei identische Bänder, auf denen Bruder Walter 'It's gonna rain' sagte und ich spielte mit zwei billigen Tonbandgeräten herum: [...] erst liefen beide Geräte im unisono, aber dann begann eines von ihnen allmählich, das andere zu überholen. [...] Als ich das hörte, wurde mir klar, dass dieser Prozess (die allmähliche Erkundung aller Beziehungen, die in einem Kanon möglich sind) interessanter war als jede andere musikalische Beziehung." Durch das Phasing, die allmähliche Verschiebung zweier zunächst unisono gespielter Patterns, boten sich Reich unendlich viele rhythmische und melodische Kombinationsmöglichkeiten. Für Come Out und Melodica (1966) griff er das Verfahren für Tonbänder auf.

Drumming (1971)

Reich fühlte sich schon bald durch die Verwendung von Tonbändern eingeschränkt und zweifelte daran, Phasing auf Instrumentalmusik übertragen zu können. Doch ließ sich der Komponist nicht entmutigen und schrieb ein kurzes Motiv, das einige Monate später als Material für Piano Phase (1967) dienen sollte. Er übte es zunächst mit einem Tonband, bevor er die Partitur seinem Freund, dem Pianisten Arthur Murphy anvertraute. Zu ihrer großen Überraschung gelang es den beiden Musikern, die Phasen manuell zu verschieben, ganz ohne die Hilfe eines Tonträgers! Das Phasing konnte nun auch von Musikern live genutzt werden. Reich war überzeugt, unerschöpfliches kreatives Material gefunden zu haben, und komponierte in der Folge Violin Phase (1967) für vier Violinen oder eine Violine und drei Tonbänder.

Aber erst mit Drumming (1971) führte der Komponist die Phasenmusik auf ihr höchstes Niveau. Damals war Reich von einem Aufenthalt in Ghana zurückgekehrt, wo er bei Meister Gideon Alorworye Trommel studiert hatte, und wollte unbedingt ein Stück für Schlagzeugensemble komponieren. Das sowohl hinsichtlich seiner Dauer als auch der Anzahl der beteiligten Instrumente – insgesamt 14 – äußerst ehrgeizige Werk erfordert äußerste Konzentration und absolute Koordination zwischen allen Ausführenden. Es ist eines der hypnotischsten Stücke von Reich, das den Hörer über eine Stunde lang in einen Tagtraum versetzt. Von allen existierenden Aufnahmen ist die jüngste des Ictus Ensembles mit ihrem mitreißendem Tempo und ihrer Präzision besonders bemerkenswert.

Clapping Music (1972)

Nach den Heerscharen verrückter Schlagzeuger, die für Drumming eingesetzt wurden, und vielleicht auch in dem Wunsch, sich beim Komponieren zu schonen, beschloss Reich 1972, zu einer einfacheren Sprache zurückzukehren. "Ich wollte eine Musik schreiben, die ohne Instrumente und nur mit dem menschlichen Körper auszuführen sei." Clapping Music braucht keine sperrigen Klaviere oder schwere Marimbas, sondern nur zwei Interpreten, die dasselbe rhythmische Motiv mit den Händen klatschen. Das Werk markiert eine erste Zäsur in der Laufbahn des Komponisten: Die Phasenverschiebung erfolgt nicht mehr graduell, sondern stufenweise. Nachdem die beiden Musiker das Motiv einige Male (in der Regel 6, 8 oder 12) im Unisono geklatscht haben, verschiebt einer von ihnen im nächsten Zyklus das Motiv um eine 8tel-Note und wiederholt diesen Vorgang solange bis er zum ursprünglichen Unisono zurückkehrt. Jeder Zyklus klingt wie eine motivische Variation, dabei wiederholen die Musiker das ganze Stück hindurch immer das Gleiche. Reich verzaubert sein Publikum mit diesem einfachen Zaubertrick bei jedem Konzert aufs Neue. Trotz seiner großen Schlichtheit bildet Clapping Music keine Ausnahme im Katalog des New Yorker Komponisten. Das rhythmische Motiv kommt in mehreren anderen wichtigen Werken wie Music for Pieces of Wood (1973), Music for 18 Musicians (1976) und Music for a Large Ensemble (1978) vor.

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