Hiatus Kaiyote
Hiatus Kaiyote gehört zu diesen Bands, bei denen man sich fragt: Wo zur Hölle wart ihr all die Jahre? In welchem Kellerloch habt ihr verdammt nochmal geübt, ohne dass irgendjemand etwas davon mitgekriegt hat? Die Songs und das Auftreten der vierköpfigen Formation aus Melbourne vermitteln jahrelange künstlerische Erfahrung und Professionalität. Um so mehr erstaunt die Tatsache, dass sich Hiatus Kaiyote erst 2011 in dieser Konstellation formiert haben.
Nai Palm ist das Gesicht der vierköpfigen Band, ein charismatisch-sympathisches Nerdgirl. Ihr Markenzeichen: ein schwarzer Strich, vom Mundwinkel schräg nach unten in Richtung Kieferknochen gezogen - und eine Stimme, die sich süß und brüchig zugleich ins Gedächtnis bohrt.
Nai besitzt die sichere Intonation einer alten Jazz-Lady, dabei ist sie 2012 gerade Anfang 20. Als Frontfrau, Gitarristin, Pianistin und Songwriterin zeichnet sie hauptverantwortlich für die vielschichtigen und emotionalen Kompositionen von Hiatus Kaiyote.
Eine professionelle musikalische Ausbildung hat Nai Palm nicht: Vor Hiatus Kaiyote trat sie als Feuerakrobatin im Zirkus auf. Man könnte auch sagen: Nai Palm ist das, was eine musikalisch versierte Band braucht, um die großen Bühnen zu füllen.
Die anderen Bandmitglieder gehören zu den renommiertesten Musikern der Melbourner Szene: Autodidakt Perrin Moss (Schlagzeug, Percussion, Sampler) hat jahrelange Erfahrung als MC, Produzent und DJ. Paul Bender (Bass, Laptop) studierte Jazz an der University of Miami und macht sich mit seiner Vorliebe für experimentelle Musik und Improvistion einen Namen in der Indie-Funk-Szene. Simon Mavin (Keys, Synths) stand bereits mit Syl Johnson und Booker T. Jones auf der Bühne, er kommt vom Jazz, Soul, Latin und Reggae.
Diese geballte Expertise entwickelt sich zusammen mit Nai Palms intuitiver Musikalität zu einem symbiotischen Zusammenspiel, wie die junge Musikerin erklärt: "Am Anfang habe ich alle Songs geschrieben und hatte großen Anteil an den Arrangements, aber mittlerweile besteht da zwischen uns eine sehr starke musikalische Chemie. Wir schreiben alle zusammen, und das ist wirklich spannend."
Im April 2012 erscheint das Debütalbum "Tawk Tomahawk" in Eigenregie über Bandcamp. Obwohl keine Marketingmaschinerie dahinter steht, verkauft sich die LP tausendfach, nicht zuletzt, weil einige einflussreiche Multiplikatoren und Meinungsmacher die australische Band unter ihre Fittiche nehmen.
So kürt Szene-Guru Gilles Peterson "Tawk Tomahawk" bald zum Album Of The Week in seiner Radioshow auf BBC 6. Größen wie Erykah Badu und Questlove outen sich wiederholt als Fans über Twitter. Hiatus Kaiyote führen zeitweise die Bandcamp-Charts in ihrer Sparte an.
In ihrem experimentierfreudigen Cocktail aus Soul, Jazz, Hip Hop und Elektronik finden sich auch immer wieder Elemente aus Afro oder Oper. Einzelne Songs wechseln mehrfach die Tempi und offenbaren oft komplexe Strukturen, ohne jedoch ungeübte Hörer zu verschrecken. In ihren eigenen Worten: "Multi-dimensional polyrhythmic gangster-shit". Es fällt schwer, Hiatus Kaiyote mit anderen Bands zu vergleichen.
Die Australier selbst zählen Stevie Wonder, J Dilla, Erykah Badu, Mulatu Astatke und Miles Davis zu ihren großen Einflüssen - aber auch Künstler wie Flying Lotus, Radiohead, Björk oder Led Zeppelin. Einmal mehr beweisen sie so, wie groß ihre musikalische Bandbreite tatsächlich ist. Passend dazu erscheint über Wax Poetics Ende 2012 das kostenlose Remix-Album "Tawk Takeout" mit teilweise stark verfremdeten Beiträgen von Mark de Clive-Lowe, Anthony Valadez und anderen.
Danach steht für das Folgealbum eine Zusammenarbeit mit Miguel Atwood-Ferguson an. Vor allem muss im Jahr 2013 der Sprung über den großen Teich gelingen: Ein Besuch beim texanischen SXSW-Festival und die dazugehörige Tour will man durch Crowdfunding finanzieren. Schützenhilfe leistet einmal mehr Gilles Peterson: Er kürt Hiatus Kaiyote Anfang 2013 zum "Breakthrough Artist Of The Year".
© Laut
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