Musica viva, Vol. 24: Helmut Lachenmann

Albumbeschreibung

Zum Ausklang des Lachenmann-Marathons 2015 zum 80. Geburtstag des Komponisten veröffentlicht Musica Viva einige hochkarätig besetzte, aktuellere Live-Aufnahmen zentraler Orchesterwerke. Sie lassen einmal mehr offenbar werden, dass Helmut Lachenmanns geräuschintensive Klangtexturen für heutige Orchester keinen Tabubruch mehr darstellen, sondern Musik, deren artikulatorische Vielfalt inzwischen mit hörbarer Lust nachvollzogen wird. „Ausklang“ (1984/85) ist bis dato selten eingespielt worden und könnte kaum einen besseren Solisten haben als Pierre-Laurent Aimard, der diese vielschichtige „Musik für Klavier mit Orchester“ voller Nachhallereignisse mit scharfkantiger Artikulation wie in Stein meißelt und dabei tiefschürfende Perspektiven erzeugt! Aber auch das Orchester modelliert hier mit zupackender Vehemenz eine zerklüftete Klangtopografie, bei der es im Schlussdrittel anständig kracht. Ein Kraftwerk voller Spannungsenergie auch ist „... Zwei Gefühle ...“, Musik mit Leonardo (1991/92), wie gewohnt mit dem Komponisten als charismatischem Sprecher. Im Vergleich mit den zahlreichen älteren Aufnahmen unter Lachenmanns Beteiligung kommt diese Interpretation jedoch seltsam flüchtig und unverbindlich daher. In „Schreiben“ (2004) hingegen werden die haptischen Aspekte des Kompositionsvorgangs selbst zum klanglichen Ereignis. Eine Vielzahl von Wisch-, Reibe- und Kratzgeräuschen (z. B. als „Schreiben“ direkt auf den Instrumenten oder Streichen der Notenpulte) begegnet uns hier ebenso wie eine bei Lachenmann ungewohnt heftige Orchesterrhetorik mit crescendierenden Tutti und gleißenden Streicherlinien. „Orchester-Schrift“ im umfassenden Sinne.
© Wieschollek, Dirk / www.fonoforum.de