Anlässlich ihres neuen Albums « Morgens um vier » durften wir Sänger Sven Regener sowie Schlagzeuger Richard Pappik von Element Of Crime treffen. Eine Bestandsaufnahme einer Band, die nicht beständiger sein könnte.

Gibt es eigentlich eine deutsche Indie-Szene ohne Element Of Crime? Wenn man zurückschaut, waren die vier Jungs aus dem Norden irgendwie immer da, wenn auch ohne großen Radiohit, ohne großen Medienrummel, ohne Headliner-Tour auf dem Hurricane Festival. Und wahrscheinlich war das auch der Grund, warum die Band langfristig so beständig und erfolgreich ihre Karriere aufbauen konnte und schließlich zu einer Instanz der deutschen Musikwelt geworden ist.

Sven Regener selbst, Sänger und Komponist der Band, sieht die Erfolgsgeschichte von Element Of Crime genauso schlicht und ungeniert: «Wir konnten uns in Ruhe an diese Entwicklung gewöhnen, wir wurden nie sozusagen auf dem falschen Fuß erwischt…» Weniger Starmania, dafür Musik von höchster Qualität seit so ziemlich… immer!? Von ihren englischsprachigen Anfängen bei Try To Be Mensch (1987) über Weißes Papier (1993) bis Mittelpunkt der Welt (2004) hat uns Regeners einzigartige Lyrik immer begleitet, getröstet, zum Lachen gebracht und uns zurück auf den Boden der Tatsachen geholt. Und selbst nach 14 Studioalben sowie zahlreichen Live-Aufnahmen oder Kompilationen bekommen Element Of Crime immer noch nicht genug davon, neue Songs für uns zu schreiben und präsentieren uns nun ihr jüngstes Projekt Morgens um vier.

Zusammen mit seinem Bandkollegen und Schlagzeuger Richard Pappik steht uns der Frontman zu Rede und Antwort und erlaubt uns für einen kurzen Moment einen tiefen Einblick in die Bandgeschichte, den Enstehungsprozess und verrät, ob die Band selbst morgens um vier noch oder schon wieder wach ist…


Zwischen eurem letzten Album « Schafe, Monster und Mäuse » von 2018 und jetzt ist ziemlich viel passiert. Wie habt ihr die letzten fünf Jahre erlebt?

Regener: Ich fürchte, genauso wie du..

Pappik: Wahrscheinlich haben wir ein bisschen mehr Musik gemacht…

Regener: Es ist schwer zu sagen, nicht nur politisch oder aufgrund von Corona, auch privat sind viele Sachen passiert und das alles gibt so eine komische gemischte Lage. Deshalb kann ich gar nicht wirklich über diese letzten Jahre reden, das ist mir gar nicht gegeben. Ich finde dazu nicht die generalisierenden Worte. Aber es kommt für uns auch inzwischen auf etwas anderes an: Seit dem letzten Album haben wir viele Konzerte gespielt, das ist unser Brot und Butter und das macht wahnsinnig viel Spaß. Und dann kommt man an einen Punkt, an dem man merkt, dass man, obwohl wir bereits über 150 Songs schon geschrieben haben, plötzlich wieder neue Songs spielen möchte. Klar könnten wir weiter unseren Katalog plündern und die alten Songs rausholen, aber wir möchten lieber neue Sachen machen, denn da warten noch ganz prächtige Welten von neuen Songs auf uns. Und das waren eben unsere letzten fünf Jahre als Band.

Für uns als Band war Corona auch deshalb nicht so wild, weil wir schon öfter Konzertpausen in unserer Karriere eingelegt haben. Einfach nur, um nicht dauernd präsent und in der Öffentlichkeit zu sein, nicht dauernd losfahren zu müssen. Wir sind keine Band, die 200 Konzerte im Jahr spielt, eher so um die 30 oder 35… oder eben auch mal ein ganzes Jahr lang nicht. In dieser Pause haben wir uns gedacht, lass uns neue Songs schreiben, damit wir etwas Frische reinbringen können. Sonst wird man irgendwann zum Museumswärter in der eigenen Geschichte, man poliert das eigene Denkmal und wird zu einem Oldie-Phänomen.

Woher kam bei « Morgens um vier » eure Inspiration?

Pappik: Wir fangen meistens so an, dass wir Musikthemen sammeln, die wir dann im Proberaum spielen und versuchen, ein bisschen zu dehnen, auszuloten, denn irgendwie müssen sie Sven antörnen und motivieren, damit er einen dazu Text schreibt. Und das war eigentlich dieses Mal wie immer, wir haben viel zusammen gespielt, musikalische Ideen zusammengetragen und versucht, diese auszubauen. Dieser Prozess zieht sich über eine gewisse Zeit hin und am Ende kommt wie unter einem Brennglas alles zusammen — wenn der Text erst einmal da ist, geht das alles sehr schnell.

Regener: Es gibt diese Dokumentation « Get Back » über die Beatles, die hat mich wirklich total geflasht, weil im Grunde genommen machen wir das genauso! Einmal kommt Ringo in den Proberaum und sagt: «Hier, ich hab’ noch eine Idee…» und fängt an einen Song zu spielen, dann spielt George etwas dazu, dann kommt Paul, etc..., so ungefähr muss man sich das vorstellen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass die Studiophase bei den Beatles wahnsinnig komprimiert war, die hatten kaum Zeit und wurden angetrieben. Wir haben mehr Zeit, aber die Art, so zusammenzusitzen und unermüdlich an dem Material zu arbeiten, ist sehr ähnlich.

Wie gestaltet sich dabei eure Gruppendynamik? Geht ihr anfangs viel in den Austausch oder passiert auch viel im eigenen Inneren zuerst?

Pappik (zu Regener): Die eigenen Ideen passieren meistens vorher, oder? Das man anfängt, sich selbst zu beschäftigen…

Regener: Ja genau, wir teilen unsere Idee miteinander, auch um zu schauen, ob gewisse Sachen klappen können oder überhaupt gut sind. Ich muss dann meistens immer eine Gesangsmelodie finden, die anderen dann Beats, Akkorde, was auch immer, für ihr Instrument entwickeln. Und dann kommt natürlich der Punkt, dass ein Lied oder eine musikalische Idee so weit gediehen ist, dass ich den Text finden muss, weil irgendwann kommt man ohne Text nicht mehr weiter, denn erst er bringt am Ende alles zusammen.

Ich habe mal vor 40 Jahren bei Daimler Benz gearbeitet und da war das genauso, die nannten das die « Hochzeit », wenn bei der Endmontage alles zusammen kommt, also die Karosserie von oben, der Motor und das Fahrgestell von unten und dann ist es plötzlich ein ganzes Auto. Vorher waren es nur einzelne Teile. Hier ist es dasselbe, plötzlich hat man den Text und das ganze Ding bekommt eine Gestalt. Das mit den Texten ist natürlich eine heikle Sache, weil der Rest der Band warten muss, bis ich etwas habe — und so geht das jetzt schon so seit über 35 Jahren.

Du singst in deinem neuen Album « Morgens um vier » - seid ihr da noch wach oder schon wieder wach?

Regener: Mal so, mal so. Für mich ist das Interessante an einer Zeit wie vier Uhr morgens, dass es so eine seltsame Zwischenzeit ist, eigentlich eine Pause zwischen den Tagen, vergleichbar mit den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester, an denen alles irgendwie still zu stehen scheint. Die Welt holt kurz Luft und ist leise, fast still. So auch morgens um vier. Gerade in einer so großen Stadt wie Berlin, wo eigentlich immer Krach ist, merkt man das besonders. Alles still! Da kommt man auch auf andere Gedanken als sonst und deshalb ist das für diese Platte kein schlechter Titel. Das Lied dazu ist auch sehr gut geworden, so ausladend und maßlos in seiner Länge, aber man soll sich ja selbst nicht loben…

In dieser Corona-Pause haben wir uns gedacht, lass uns neue Songs schreiben, damit wir etwas Frische reinbringen können. Sonst wird man irgendwann zum Museumswärter in der eigenen Geschichte, man poliert das eigene Denkmal und wird zu einem Oldie-Phänomen.

Neben Tageszeiten singt ihr auch, wie schon in früheren Alben, über den Wochentag Sonntag. Wie verbringt ihr denn eure Sonntage?

Regener: Ich muss sagen, ich habe Sonntage immer gehasst. Weil es sonntags in Berlin echt schwer ist. Auch so eine seltsame Zwischenzeit. Früher hat man am Wochenende natürlich wahnsinnig viel Party gemacht, Sonntags dann Kater, und dann geht man raus und sieht diese ganzen Leute durch den Tag lurchen und keiner weiß wirklich, was er machen soll. Es gibt dieses Lied, Michaela sagt, von der Platte Psycho, das trifft es ganz gut: « Michaela sagt, sie kann Sonntage nicht leiden, denn da treiben alle Leute so wie Quallen durch den Tag », heißt es da. Da habe ich wahrscheinlich über mich selbst gesungen, da war ich dann mal kurz Michaela... Jedenfalls: In Berlin ist sonntags auch alles so überlaufen, du gehst in den Park und denkst, du kommst ein bisschen ins Grüne, aber alles ist berstend voll, wie ein überbelegte Wohnung. Der Rasen ist auch schon abgeschabt wie ein alter Teppich und dazu die Hunde, die überall hinkacken. Und keiner weiß genau, was er mit sich anfangen soll. Mit Freitag und Samstag kommt jeder klar, aber Sonntage…

Aber dieses Lied Wieder Sonntag, das ist tatsächlich ein sehr altes Lied, wir hatten das schon 1985 oder ‘86 auf Englisch geschrieben, damals als Blue Sunday, doch das hat damals nicht funktioniert, wir konnten das irgendwie nicht gut spielen. Ich fand die Melodie immer schön und schließlich habe ich jetzt einen deutschen Text dazu geschrieben und wir haben das neu aufgenommen und plötzlich funktioniert es! Was ich daran mag, ist genau diese Beschreibung: Man geht Sonntags auf den Flohmarkt und kauft Kram, man läuft an den Zeugen Jehovas vorbei, man geht ins Café am Neuen See im Tiergarten und da ist alles voll mit Leuten… Und dann sehnt man sich nach jemandem und das ist natürlich ein guter Stoff für einen Song. Der Song hat so ein bisschen was Sommerliches, aber auf so eine heiß-trübe Art, auch durch dieses sich immer Wiederholende in den Akkorden. Ich bin ganz froh, dass wir jetzt das endlich mal hinbekommen haben, nach 37 Jahren!

Wenn ihr heute auf eure fast 40-jährige Bandkarriere zurückblickt: Wie nehmt ihr im Laufe der Zeit eure Rolle in der deutschen Musikindustrie wahr und gab es bestimmte Wendepunkte, die euch geprägt haben?

Regener: Wir hatten natürlich letztes Jahr einen traurigen Wendepunkt, weil David Young, unser langjähriger Bassist, gestorben ist. Das war auf jeden Fall für uns eine Zäsur und das hat uns auch sehr viel zu schaffen gemacht, auch bei der Produktion. Es war das erste Mal seit 1987, dass wir ohne ihn eine Platte gemacht haben. Und er war auch ein sehr guter Freund, also das war schon sehr hart. Was die Karriere betrifft, hat Element Of Crime eigentlich eine ganz komische Geschichte, denn wir hatten nie einen großen Hit oder sowas.

Pappik: Es ist in kleinen Stufen angestiegen.

Regener: Es gab manchmal einen Sprung nach vorne, aber auf einer komischen Ebene. Die zweite Platte zum Beispiel, Try to be Mensch, die von John Cale produziert wurde, beim ersten Album haben wir gerade mal 800 Platten verkauft, bei der zweiten Platte auf einmal 10.000, plötzlich waren wir ne coole Band aus Berlin und dann auch noch John Cale! Oder zum Beispiel wurde uns bei Weißes Papier immer gesagt: « So ein trauriges Zeug und wenn ihr keinen Single-Hit habt, kommt ihr sowieso nie in die Charts. » Und plötzlich ging die ab wie nichts Gutes und keiner wusste genau, warum. Plötzlich war die Band etabliert. Dann die Platte Mittelpunkt der Welt, über 10 Jahre später, die zum ersten Mal eine goldene Schallplatte erhielt und wir hatten sogar sowas wie einen kleinen Single-Hit, Delmenhorst, aber das war 2004, also fast 20 Jahre nach dem ersten Album. Wir konnten uns in Ruhe an diese Entwicklung gewöhnen, wir - wurden nie sozusagen auf dem falschen Fuß erwischt, wir haben uns vielleicht am Anfang sehr viel gestritten, auch um den Stil und die Entwicklung der Band oder wie man mit den ganzen Zumutungen der Kulturindustrie umgeht, aber das hatte sich dann nach zehn, fünfzehn Jahren auch erledigt.

Pappik: Wir haben einen Podcast gemacht, Narzissten und Kakteen, und da ist uns aufgefallen, dass unsere Platten eigentlich wie so Kapitel sind. Da wird immer was Neues in Gang gesetzt, zwar nur minimal, aber jedes Mal. Und dadurch schreitet der Prozess auch schrittweise an, denn die Platten haben das so forciert.

Element of Crime wirkt aber auch wie eine sehr zeitlose Band, die sich nicht von den vielen Trends der Musikindustrie beeindrucken lässt…

Regener: Ja, die Sachen und Trends sind auch immer schon wieder so schnell vorbei, dass wir sie gar nicht erwischen könnten, wenn wir wollten. Man muss sein Ding machen und hoffen, dass einem der Zeitgeist manchmal entgegenkommt, nur so herum geht es.

Pappik: Wir sind extrem unterschiedliche Leute. Das, was wir zusammen machen können, ist diese Musik, das ist wie eine chemische Formel, die funktioniert. Wenn diese und jene Elemente zusammengebracht werden, dann kann das und das entstehen. Das ist eigentlich auch ziemlich phänomenal, finde ich.

Regener: Und wir haben diesen Stil, weil wir eben so verschieden sind und auf einen gemeinsamen Nenner kommen müssen. Es würde nicht gehen, dass einer von uns dreien sagt: « Lass doch mal was ganz anderes machen ». Wir machen nur Sachen, die alle drei gut finden. Wenn einer von uns sagt, ich will das nicht, dann wird das nicht gemacht. Und dieser gemeinsame Nenner, der prägt eben den Stil der Band und darum ist der auch so gut wiedererkennbar, weil da keine Beliebigkeit aufkommen kann.

Habt ihr in eurer Geschichte und Diskographie ein bestimmtes Album, an das ihr euch besonders erinnert?

Pappik: Als wir angefangen haben, diesen Podcast zu machen, haben wir auch nochmal in unsere Platten reingehört, die wir ja lange nicht mehr gehört haben, denn man hört ja nicht andauernd seine eigene Musik. Da ist mir aufgefallen, dass die Verklärung der Erinnerung auch irgendwie immer fortschreitet. Man hat teilweise noch Momente und Stellen im Kopf, die man damals nicht gut fand, aber hört man sich heute diese Platten an, dann ist das alles verschwunden. Das ist wunderbare Musik. Das braucht auch eine Zeit, um sich abzulösen und diesen Abstand zu bekommen.

Regener: Die ersten Platten waren natürlich besonders, weil da war das alles so neu für einen und aufregend, dass man sich viel mehr noch an Details erinnert. Wenn ich zum Beispiel daran denke, wie wir 1988 in New York aufgenommen haben, das war alles so wahnsinnig beeindruckend und neu für mich, dass sich das ganz tief eingebrannt hat. Das ist wahrscheinlich immer das, was man von alten Leute oft hört: dass man sich an den alten Kram ganz genau erinnert, aber an das, was in den letzten zehn Jahren passiert ist, gar nicht!. Sobald etwas zur Normalität wird, wird es natürlich auch unbedeutender für einen.

Was habt ihr denn für weitere Projekte in der Zukunft geplant?

Regener: Also ich habe ja mit Richard und Ekki Busch das Regener-Pappik-Busch-Jazztrio, und ich schreibe noch Romane und Theaterstücke, Richard macht noch jede Menge andere Projekte als Schlagzeuger und Produzent, Jakob macht Filmmusik… Natürlich ist Element Of Crime das zentrale Projekt und das bleibt auch so. Das ist letztendlich eine einmalige Angelegenheit, denn so eine Band hat man eigentlich nur einmal im Leben und so eine Art von Band gibt es auch sonst nicht. Deshalb sollten wir da auch immer weitermachen. Oder wie Dirk von Lowtzow mal bei Ego Express gesungen hat: « Man muss immer weiter durchbrechen ». Ich glaube, darauf kommt es am Ende an.

Das Interview wurde geführt von Lena Germann, 10. Februar 2023.