Reinhard Mey ist einer der bekanntesten Liedermacher Deutschlands. Oder sollte man sagen, ein Schlagersänger? Er bewegte sich in den 1960er Jahren im Netzwerk der internationalen Liedermacherszene, begann seine Karriere zunächst in Frankreich und den Niederlanden. Das zwischen der Schlagerszene und den linken Liedermachern gespaltene Deutschland stritt sich zunächst um die Positionierung des charmanten Sängers. Zu seichte Musik oder doch zu kritisch gegenüber seinen Liedermacher-Mitstreitern?

Nach dem Festival der Burg Waldeck, auf dem sich die gesamte linke Liedermacherszene tummelte und Reinhard Mey sein erstes eigenes Chanson Ich wollte wie Orpheus singen präsentierte, führte ihn sein Weg 1967 zum belgischen Chansonfestival nach Knokke. Er übersetzte einige seiner deutschen Lieder selbst ins Französische. Die französische Kultur lag ihm schon als Kind sehr nahe (immerhin besuchte er das Deutsch-Französische Gymnasium in Berlin und besaß später für einige Jahre die französische Staatsbürgerschaft). In Knokke wurde der Produzent Nicolas Péridès auf ihn aufmerksam und produzierte wenige Zeit später sein erstes Album unter dem Pseudonym Frédérik Mey (Frédérik Mey Volume 1 bei EPM Musique). Es folgten fünf weitere: Frédérik Mey Volume 2-6. In den 1970er Jahren trat Mey in den Pariser Music Halls Olympia und Bobino auf. Mit dem 1982 erschienenen letzten französischen Album nahm er letztendlich Abschied von seiner Karriere in Frankreich (die Ehe zu seiner französischen Frau Christine endete bereits 1976). Dreizehn Jahre später erscheint jedoch eine Hommage an seine zweite Heimat und damit Volume 7, Douce France (bei EMI ebenfalls unter dem Pseudonym Frédérik Mey).

Wie schon die Chansonniers aus Frankreich - Mey hegte große Bewunderung für Georges Brassens - sang auch er über sämtliche Themen des Alltags. Seien es Hunde oder Männer im Baumarkt, Politik, Krieg, Natur, lyrische Themen oder ganz persönliche Geschichten. Mey grenzte sich mit der Vielfalt seiner Themen sowohl von den politischen, linken Liedermachern als auch den Stars der Schlagerbranche ab. Er entwickelte als deutscher Liedermacher früh seinen eigenen Stil und brachte eine textlich wie musikalisch neue Qualität in das Schlagerbusiness ein. Sein musikalischer Stil lässt sich nur schwer in ein einziges Genre fassen. Auch er war in den Jahren 1964-1968 Teil des Burg Waldeck Festivals und der antikommerziellen Bewegung. Er beschreibt allerdings, die Entwicklungen ab dem Jahre 1968 woraus deutlich wird, dass für ihn stets die Musik im Vordergrund stand und nicht die politische Revolte, die das Festival heimsuchte.

Und 68 war es einfach so, dass ein paar diesen Musikbetrieb, den sie inzwischen für Musikestablishment hielten, sprengen wollten. [...] Es war einfach so, wenn in deinem Lied nicht das Schlagwort Revolution vorkam, dann brauchtest du gar nicht aufzutreten. Eigentlich war damit der musikalische Teil der Waldeck erledigt und die ganze Sache kaputt.

Doch es wäre zu einfach zu sagen, Reinhard Mey sei in die Schlagerszene abgerutscht. Sein erstes deutsches Studioalbum Ich wollte wie Orpheus singen, erschien 1967 beim damaligen Label Intercord (heute EMI). Ein Album, das in Zusammenarbeit mit Hannes Wader entstand und das neben der Liebe vor allem vom Alltag der Städte, den Begegnungen und von Abscheulichem für abscheuliche Leute handelt. Abgesehen von der Liebe interessierte sich das deutsche Schlager-Publikum zu Beginn Meys Karriere nicht sonderlich für die Themen seiner Musik. Die Sticheleien gegenüber seiner einstigen (wohl linken) Freundin Annabelle (Alles was ich habe) heimste ihm heftigtste Kritik seitens seiner Liedermacher-Kollegen ein. Doch diese Unmöglichkeit, den Sänger in eine Schublade zu stecken, hielt ihn nicht davon ab, das zu tun, was er für richtig hielt. Und auch das deutsche Publikum begann dies früher oder später zu schätzen zu wissen.

2009 traf den Liedermacher ein schwerer Schicksalsschlag. Sein 1982 geborener Sohn fällt ins Wachkoma und stirbt nach schwer ertragbaren fünf Jahren. 2010 erscheint sein 25. Studioalbum Mairegen (bei Odeon), in dem er seine Trauer über den verstorbenen Sohn verarbeitet. Doch zwischen den Zeilen ist es eine so positive, Kraft spendende Aufnahme voller Erinnerungen (an seine Zeit als junger Musiker in Berlin Rotten Radish Skiffle Guys oder Das Butterbrot, Das erste Mal) und mutvoller Trauer (Mairegen, Drachenblut), die einen schlucken lassen. Viele Jahre später sind dem Liedermacher immer noch nicht die Worte und Noten ausgegangen, auch wenn sein Kummer sicherlich nicht überwunden ist. Mit Mr. Lee (erschienen im Mai 2016, Universal) tut Mey genau das, was den Poeten der Lieder so einzigartig macht: er teilt sein Innerstes mit seinem Publikum wie schon einst seine Frauengeschichten (Annabell, Christine unter dem Pseudonym Frédérik Mey), seine Traurigkeit, die Freude über die kleinsten Dinge oder auch nur das, was er in seiner Welt beobachtet. Mr. Lee ist wohl eines der Alben, das ihn am umfassendsten repräsentiert.

Reinhard Mey bewegt mit seiner Musik nicht nur seine Hörer, sondern lenkt mit seinem 1989 veröffentlichten Album Mein Apfelbäumchen (Intercord, 2003) die Öffentlichkeit auf die Schwierigkeiten des Lebens. Er widmet dieses Album dem Krebs und unterstützte damit die Deutsche Krebshilfe. Ein Album mit Texten, die vor allem aus der Sicht eines Vaters und Ehemanns geschrieben wurden, die von den Momenten des Lebens handeln, die wie die Apfelkerne eines Apfelbäumchens keimen. Mey singt auf diesem Album vom Kreislauf des Lebens (Und nun fängt alles das nochmal von vorne an), mal ein bisschen rockiger, mal mit exotischen Rhythmen (Keine ruhige Minute) und mal holt er uns in seinen ursprünglichen Folk-Stil in einem Gutenachtlied wieder zurück (Vaters Nachtlied). Reinhard Mey - Schlagersänger, Liedermacher oder einfach von ganzem Herzen Musiker. Ein Musiker, der über alle Zeitgeistströmungen seinem Stil stets treu geblieben ist.