Wie wurde das Saxophon – ursprünglich von einem Belgier für Militärkapellen erfunden – zum Sinnbild einer Musikrichtung? Wie haben sich die Jazzmusiker die Erfindung von Adolphe Sax angeeignet? Erster Teil einer Serie über große Saxophonisten, die – Ehre, wem Ehre gebührt – mit dem Tenorsaxophon und seinen zahlreichen Anhängern von Coleman Hawkins bis Wayne Shorter beginnt.

Als Adolphe Sax 1846 eine die Erfindung einer „Serie von Blasinstrumenten, Saxophon genannt“ zum Patent anmeldete, konnte der belgische Instrumentenbauer aus Paris nicht ahnen, dass sich mehr als ein halbes Jahrhundert später eine neue Musikrichtung seine Erfindung zu Eigen machen würde: der Jazz. Anders gesagt hatte diese Musik, die auf einem ganz anderen Kontinent, in der afroamerikanischen Gemeinschaft der Nachkommen von Sklaven entstanden war, nicht viel mit der ursprünglichen Bestimmung dieses Instruments zu tun, dem Sax seinen Namen gegeben hatte. Das Saxophon war vor allem für Militärmusik und Blaskapellen konzipiert worden, robust und wetterbeständig, ideal für Paraden, hat sich schließlich als Symbol des Jazz behauptet und symbolisiert für die breite Öffentlichkeit die Freiheit der Improvisation. Es fand nur mit Mühe im Sinfonieorchester einen Platz und setzte sich, da es relativ günstig und leicht zu transportieren war, schließlich in den Händen vorwiegend autodidaktischer Musiker durch, die ihre eigene Technik entwickelt, seine Ausdruckmöglichkeiten voll ausgeschöpft und ihm ein eigenes Repertoire geschaffen haben. Mit anderen Worten, das Instrument war ein unbeschriebenes Blatt, nichts war festgeschrieben und die Jazzmusiker konnten nach Herzenslust auf den vier Hauptinstrumenten der Saxophon-Familie, Sopran, Alt, Tenor und Bariton, experimentieren. Wir wollen mit dem Tenor beginnen, dem bekanntesten und dominierenden unter den Saxophonen, das dieselbe Tessitur besitzt wie die menschliche Stimme. Geht uns deshalb sein Klang manchmal so unter die Haut?

Entgegen allen Erwartungen spielte das Saxophon in den Anfängen des Jazz keine wichtige Rolle. In den Orchestern von New Orleans steht es eher im Hintergrund, wird durch die lautstarke, gesprächige Trompete und Klarinette in den Schatten gestellt (wenn man von Sidney Bechet am Sopransaxophon absieht). Erst mit Coleman Hawkins meldete sich das Saxophon lautstark zu Wort. Der, den man auch „Hawk“, den Falken nannte, hat mehr als nur eine Bresche geschlagen: er zeigt einen gehbaren Weg und bringt den gesamten Tonumfang des Tenorsaxophons in einer breiten klanglichen Ausdruckspalette zur Geltung, die mit einem großzügiges Vibrato sowie im Dienst einer sicheren und dynamischen Phrasierung von lustvollem Flüstern bis zu heiserem Kreischen reicht. Hawkins ist für künftige Generationen aber auch für seine Zeitgenossen eine Referenz, wie auch Ben Webster, der Meister sehnsuchtsvoller Balladen, dessen warmer Klang mit einem Lufthauch verschleiert zu sein scheint, oder Chu Berry, mit 31 Jahren durch einen Autounfall ums Leben gekommen, dessen schlichtes, beißendes, präzise artikuliertes Spiel große Selbstsicherheit ausstrahlt. Alle haben ihre Sporen in den Reihen der wichtigsten Bigbands der Epoche verdient – von Count Basie bis Duke Ellington über Fletcher Henderson oder Teddy Wilson – und haben reiche Erfahrungen darin gesammelt, sich schon gleich bei den ersten Tönen durchzusetzen und während eines Solo zu glänzen. Don Byas, Eddie „Lockjaw“ Davis oder auch Paul Gonsalves, der den größten Teil seiner Laufbahn in den Reihen von Ellingtons Orchester absolviert hat, gehören zu den direkten Konkurrenten von Coleman Hawkins, der auch auf Musiker wie Archie Shepp oder James Carter einen Einfluss hatte.

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